Donnerstag, 30. August 2007

Der Kokon der Trauer

  • er schützt mich
  • und hält mich gefangen
  • er gibt mir Wärme
  • und lässt mich erfrieren
  • durch ihn bin ich hellhörig
  • und in ihm werde ich taub
  • ich sehe durch ihn alles
  • und bin doch blind
  • er macht mich feinfühlig
  • und er macht mich hart
  • in ihm werde ich stumm
  • und schreie vor Schmerz
  • meine Augen sind tränenlos
  • aber meine Seele weint
  • mein Herz ist in ihm so schwer
  • und meine Gedanken sind voller Angst
  • meine Hände macht er gefühllos
  • und lähmt meine Füße
  • er macht mich atemlos
  • und meinen Geist schwach

  • werde ich ihn jemals verlassen ...den KOKON der Trauer...?

Donnerstag, 23. August 2007

Mami

Ich ging zum Konfirmandenunterricht, Mami, und dachte an Deine Worte. Du hattest mich morgens gebeten, auf mich aufzupassen, und so wollte ich es tun. Ich fühlte mich ganz stolz, Mami, genauso, wollte unabhängig und dir keine Last sein. Ich habe doch aufgepasst, Mami. Auch wenn die anderen was anderes sagen, sagen ich hätte es nicht getan ich weiss, dass ich es richtig gemacht habe, Mami.

Der Unterricht war zu Ende, und alle gingen nach Hause. Als ich in den Bus stieg, Mami, wusste ich, dass ich heil nach Hause kommen würde: Auf Grund Deiner Erziehung, immer verantwortungsvoll und richtig. Ich saß vorne beim Busfahrer, Mami und schaute gemeinsam mit ihm auf die Strasse. Aber der andere Fahrer sah mich nicht und sein Wagen traf mich mit voller Wucht. Als ich auf der Strasse lag, Mami, hörte ich den Polizisten sagen, der Mann sei zu schnell gefahren.

Und nun bin ich der jenige, der dafür büßen muss. Ich liege hier im Sterben Mami. Ach bitte, komm doch schnell. Wie konnte das passieren? Mein Leben zerplatzt wie ein Luftballon.

Ringsherum ist alles voller Blut, Mami, das meiste von mir. Ich höre den Arzt sagen, Mami, dass es keine Hilfe mehr für mich gibt. Ich wollte Dir nur sagen, Mami, ich schwöre es, ich habe wirklich aufgepasst. Es war der andere, Mami, der hat einfach nicht nachgedacht. Er war wahrscheinlich im Gespräch mit seinem Sohn versunken, Mami. Der einzige Unterschied ist nur: Er ist zu schnell gefahren und ich werde sterben. Warum müssen die Menschen immer rasen, Mami? Haben sie keine Zeit ? Es kann das ganze Leben ruinieren.

Ich habe jetzt starke Schmerzen, wie Messerstiche so scharf. Der Mann, der mich angefahren hat, Mami, läuft herum und ich liege im Sterben. Sag meinem Bruder und meiner Schwester, dass sie nicht weinen sollen, Mami. Und du sollst auch tapfer sein. Und wenn ich dann im Himmel bin, Mami, schreibt "Mami's Sonnenschein" auf meinen Grabstein.

Jemand hätte es ihm sagen sollen, Mami, nicht so schnell zu fahren an dieser Stelle! Wenn man ihm das gesagt hätte, Mami, würde ich noch leben.

Mein Atem wird kürzer, Mami, - ich habe große Angst. Bitte weine nicht um mich, Mami. Du warst immer da, wenn ich Dich brauchte. Ich habe nur noch eine letzte Frage, Mami, bevor ich von hier fortgehe: Ich habe doch alles richtig gemacht und aufgepasst, warum bin ich der jenige, der sterben muss?

(c) 2007 Claudia Staemmler für meinen Simon, den ich unendlich vermisse seit 667 Tagen

Donnerstag, 16. August 2007

Der graue Regenvorhang dieser Welt

Jeder kennt das bestimmt: Man sitzt im Kino und folgt gespannt den Bildern auf der Leinwand.
Die Bilder berühren unseren Geist und Wörter hinterlassen eine Gänsehaut
oder ein Gefühl der Freude in unserem Herzen.

Und dann gibt es noch Zitate, die einem nicht wieder aus dem Kopf gehen.
Aber manchmal sind sie schwer zu greifen und wie ein Blatt im Wind.
Sie wehen vorüber, ohne das man sie festhalten kann.

Eins davon ist folgendes aus Herr der Ringe, die Rückkehr des Königs,

Dialog zwischen Gandalf und Pippin in Minas-Tirith ...

"Ich hätte nicht gedacht, dass es so enden wird."
"Enden? Nein, hier endet die Reise nicht. Der Tod ist nur ein weiterer Weg den wir alle gehen müssen. Der graue Regenvorhang dieser Welt zieht sich zurück und alles verwandelt sich in silbernes Glas. Und dann siehst du es."
"Was, Gandalf? Was sehe ich?"
"Weiße Strände, und dann ... ein fernes grünes Land unter einer rasch aufgehenden Sonne."
"Dann ist es nicht schlimm?"
"Nein, nein ist es nicht."

Sonntag, 12. August 2007

Besser ? ... Anders !!!

Simon ist nicht mehr da. Morgens muss ich ihn nicht mehr wecken, abends kommt er mir nicht mehr entgegen gelaufen. Wenn ich allein zu Hause bin, ist sein Abwesenheit in der Leere der Wohung mit den Händen zu greifen. Zugleich war mir Simon noch nie so nah. Ich höre seine Stimme und sein Lachen, ich sehe ihn vor mir. Ich spüre ihn neben mir, ganz leiblich, sehr konkret. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich ihn berühren, ihn umarmen kann. Manchmal verschmelze ich förmlich mit ihm. Ich reden mit ihm und er mit mir.

Wie ist das möglich, wie kann das sein? Er ist doch weg, unendlich weit weg?
Nun sind fast zwei Jahre vergangen, seit Simon nicht mehr bei uns ist. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl das es mir besser geht. Aber was heißt da schon "besser"? Habe ich mich an seine Abwesenheit gewöhnt? Kann ich damit leben? An solchen "besseren" Tagen kann ich mich bei der Arbeit vergessen, kann auch wieder die kleinen Dinge des Lebens genießen und erlebe durchaus einen Fortschritt im meinem Trauerprozess.
Aber dann gibt es Momente und Tage, da ist überhaupt nichts besser. Da steigt meine tiefste Trauer auf, da falle ich wie zu Beginn in tiefste Löcher. Dann habe ich den Eindruck, es wird gar nichts besser, weil der Verlust meines Kindes durch nichts, aber auch gar nichts zu ersetzen ist.

Mit zunehmerder Zeit gewinnt der Alltag wieder überhand. Ich fahre im Sonnenschein mit dem Auto nach Hause. Im Radio läuft schöne Musik, die mich mitreißt Selbstvergessen singe ich mit. Nur eine Sekunde später erschrecke ich zutiefst. Was mache ich denn da? Das will ich doch gar nicht. Wenn ich fröhlich oder ausgelassen bin, verrat ich dann nicht Simon? Er der nicht mehr ausgelassen und fröhlich sein kann, was er doch so unendlich gerne war? Heißt das, dass ich nicht mehr um Trauere, dass er mir schon gar nicht mehr so fehlt? Ich habe den Eindruck, dass ich ihn in solchen Augenblicke verrate und ihn allein in seinem Tod lasse.Das sind Momente und Zeiten, da will ich nicht, das es mir besser geht, da will ich an der Trauer festhalten.

In ihr erlebe ich meinen Sohn besonders nah ... wenn auch schmerzhaft.