Montag, 5. Oktober 2009

4 Jahre

Ein langer schwieriger Weg liegt hintermir und immer noch vor mir. Ich bin sehr müde und sehne mich nach einem leichteren Leben, einem Leben, das nicht mehr meine Kräfte so sehr fordert.
"Willkommen im Leben", so war der letzte Satz meiner Phychologin und JA ich kann diese Jahr wieder leben. Etwas, oder auch etwas mehr ...
Es braucht immer noch Kraft den Alltag zu bestehen, ich mache immer noch vieles falsch und es fällt immer noch schwer "loszulassen" ...
aber ich bin stolz darauf, dass wir Drei, die letzten 4 Jahre bewältigt haben, dass wir nicht untergegangen, nicht verzweifelt sind am Leid.
Vielen Dank an die Freunde, die mich/uns durch die letzten 4 Jahre begleitet haben und es immer noch tun. Ich freue mich über jeden, der Simon nicht vergessen hat,
bin dankbar für jedes kleine Geschenk, dass Simon noch immer bekommt.
Ich bin froh, dass ich die Trauer nicht verdrängt habe und alle Tiefen durchlebt habe und immer noch durchlebe. Sie hat mich oft umgeworfen, aber sie hat mich auch stark gemacht,
vieles habe ich einfach auf "Simons" Blog abgeladen.

Meine Tränen sind für mich ein Zeichen von Stärke, aber ich zeige sie nur noch ganz wenigen Menschen und das sind die, die sie auch ertragen können.

Jede Träne ist ein Kristall und Diamant für dich. Jede Träne ist ein Zeichen meiner Liebe zu dir und ich schenke dir diese Kristalle und Diamanten der Liebe.
(aus dem Buch: Damit aus meiner Trauer Liebe wird von Roland Kachler)

Mir ist nur klarer das, das ich mein Leben weiter lebe und mich selbst immer wieder neu finde. Es gibt noch soviel zu lernen, das Neue, das Unbekannte anzunehmen, bis es mir vertraut wird.
Oft komme ich dabei an meine Grenzen, denn dieses Leben ist manchesmal wahnsinnig schwer und ich am Ende meiner Kräfte.
Mitunter habe ich das Gefühl, dass ich mich im Kreis drehe oder in einer Spirale endet. Mit der Entfernung komme ich doch wieder zu bestimmten Punkten. Ich treffe auf alte Wunden – mit Entfernung. Ich glaube, ich werde sie immer wieder treffen, mal mehr, mal weniger schmerzlich.

Die Trauer schlägt am rücksichtslosesten zu, wenn ich körperlich und emotional erschöpft bin. Dann habe ich auch jetzt noch das Gefühl zu ertrinken und zu weit vom Ufer entfernt zu sein, um irgend jemanden oder irgend etwas zu erreichen, wenn nicht jemand nach mir greift. Ich fühle mich dann ganz starr ... verharre, kann nicht weiter.
Geärgert habe ich mich schon oft über mich selber, wenn mich Kleinigkeiten umgeworfen haben. Wie kann mich so etwas umwerfen, wenn ich nach dem Tod von Simon immer noch lebe? Es ist dann meistens nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt und auch meine Trauer wieder an die Oberfläche kommen lässt.

Der Alltag läuft wieder „normal“ und doch ist alles anders. Nichts, aber auch gar nichts mehr ist, so wie es einmal war. Die Trauer, auch wenn sie milder geworden ist, ist mein ständiger Begleiter geworden. Ich hatte die Entscheidung, ob sie mein „Freund“ oder mein Feind wird. Als Freund konnte ich lernen, mit ihr zu leben, als Feind hätte ich sie ständig bekämpfen müssen. Der Kampf gegen meine Trauer und somit auch gegen mein neues Leben hätte mich zuviel Energie gekostet. Energie, die ich für anderes nötiger brauche.
Immer noch lerne ich das Gute in meinem Leben zu sehen, auch in den Menschen, die mich mit blöden Kommentaren verletzen. Ich möchte nicht glauben, dass sie es absichtlich machen, nicht bitter darüber werden.
Ich will im Verbliebenen noch einen Sinn zu sehen "Willkommen im Leben!"

Das Wichtigste, was ich lernen musste, war die neue Beziehung zu Simon. Ich habe Ihn nicht verloren, nur körperlich darf ich Ihn nicht mehr spüren, Ihn nicht umarmen, Sein Lachen nicht mehr hören, Seine Zukunft an unserer Seite nicht mehr erleben. Du bist in mir und lebst weiter mit mir. So wie Du 9 Monate in mir wachsen durftest, so bist Du nun in mein Innerstes zurückgekehrt. Ich trage Dich fest in meinem Herzen und meiner Seele.

Mein Wesen ist ein anderes geworden. So lange habe ich "neben" mir gestanden, jetzt wird es Zeit, dass ich wieder zu mir stehe, jedoch kann ich nicht da einfach weitermachen, wo das Leben von Dir aufgehört hat.
Zukunftspläne schmiede ich nicht mehr viel, denn ich begreife, dass ich nur im Heute leben kann. Mein Ziel ist Simon, mein Weg zu ihm, der Tag, an dem ich Ihn endlich wieder in meine Arme nehmen darf. Aber ich habe auch hier noch meine Aufgabe, die ich so gut ich es kann erfüllen möchte. Meine größte Aufgabe ist es, seinem Bruder und seiner Schwester in ihr eigenes Leben zu begleiten. Vielleicht darf ich eines Tages ihre Kinder erleben.

Ein ganz großes Thema für mich was dieses Jahr das „Loslassen“. Damit meine ich nicht, dass ich die wohlgemeinten Ratschläge derer annehme, von denen man zu hören bekommt:

"Du musst endlich loslassen, dann geht es Dir auch wieder besser."

Ich werde fallen wenn ich los lasse !!!


Wen oder was soll ich denn loslassen ?? Simon, die ich gar nicht mehr festhalten kann !? Die Erinnerungen an ihn ??


Heute weiß ich, sie hatten Recht damit, dass ich loslassen muss. Ich musste loslassen und muss immer noch loslassen; aber ich muss nicht meinen Halt und schon gar nicht meine Liebe zu Ihm "Simon" loslassen; ich muss mein altes Leben loslassen. Mein Leben mit Ihm, mein Leben mit Simon an der Hand. Ich musste und muss lernen mein neues Leben zu leben. Mein Leben ohne Ihn und doch mit ihm. Das was früher einmal war gibt es heute nicht mehr; mich gibt es so wie früher nicht mehr.

"Loslassen" hat für mich noch eine ganz eigene Bedeutung. Ich musste meine ganz tiefe Trauer loslassen, die mich gehindert hat, nach vorn zu schauen. Ich hatte Angst, dass Simon sich damit noch weiter von mir entfernt, ich musste erst lernen, dass er auch bei mir ist, wenn ich wieder lache. Das Lachen ist nicht das Ende meiner Tränen, aber ich brauche es so dringend, um Kraft daraus zu schöpfen und auch mal eine Ruhepause von tiefster Trauer zu haben. Für andere erscheine ich dadurch vielleicht auch einfach nur launisch, doch Trauern bedeutet ein Leben lang auf einer seelischen Achterbahn zu fahren.

"Loslassen" heißt auch nicht, aufhören zu lieben, dass wir uns nicht erinnern, uns sehnen und weinen. Es bedeutet auch für mich, dass mein Leben eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Der wunderschöne Lebensabschnitt, den wir mit Simon 13 Jahre teilen durften, wird immer ein großer Teil meines Lebens bleiben. Ich trage all diese wunderbaren Erinnerungen wie meinen wertvollsten Schatz mit in die Zukunft.

Simons Tod wird für uns niemals seinen Schrecken verlieren. Wir haben damit auch unser altes Leben verloren und werden es auch in Zukunft nicht wieder finden.
Wir sind immer noch dankbar, dass wir Menschen an unserer Seite haben, die die gleiche Sprache sprechen wie wir. Dankbar sind wir auch für unsere Freunde, die es schaffen uns immer wieder zu zeigen, dass wir noch dazugehören, dass wir trotzdem noch liebenswert sind, auch wenn wir uns so sehr verändert haben. Sie sind für uns ein Stützpfeiler und ein Ruhepunkt und zeigen uns durch ihre kleinen Aufmerksamkeiten immer wieder ihre Herzlichkeit und ihr Mitgefühl.

Vielen Dank an Marion Anders, Mutter von Jessica