In diesem Jahr habe ich mich oft gefragt, was mich diese lange Zeit hat überleben lassen. Vor Deinem Tod habe ich immer gedacht, dass ich den Tod eines meiner Kinder nicht überleben werde, aber es gibt mich noch. Wie viel ein Mensch ertragen kann, haben mir diese 3 Jahre gezeigt. Geschafft habe ich diese Zeit nur mit der Liebe, die ich tief in mir habe für Dich, meine kleine Familie und die Menschen, die noch an meiner Seite sind.
Menschen, die immer für mich, für uns da waren, die mir Liebe, Wärme, Geborgenheit, Zuspruch und Hoffnung gegeben haben, wenn ich mal wieder nicht weiterwusste.
Menschen, die mich ausgehalten haben, egal wie schwierig ich auch geworden bin.
Menschen die einem keinen ungerechten Vorwurf aus Kleinigkeiten stricken, wie ein angeblich vergessener Anruf oder ein ungepflegtes Strassenkreuz.
Das Verschweigen von Simon, meiner Trauer und meinem jetzigen Leben macht die Beziehungen zu anderen sehr schwer. Versteht doch … mein totes Kind gehört immer noch mir und es kostet mich wahnsinnige Kraft dieses Leben nun so zu leben. Wird dieser Teil meiner Person ignoriert, so bleibt eben ein Loch, dass die ganze Beziehung löchrig macht. Wie würden diese Menschen sich fühlen, wenn ich mir ihre freudigen Ereignisse nicht anhören wollte, schnell das Thema wechseln würde oder alles totschweige?
Und an manchen Tagen war es eine kleine Mail oder nur eine liebe SMS, die mir geholfen haben, den Tag zu überstehen.
Ein Elefant ist im Raum.
Breit sitzt er da und es ist schwierig, um ihn herumzukommen.
Und doch quetschen wir uns vorbei, sagen „Wie geht`s ?“
Und „Mir geht`s gut“.
Und viele andere Floskeln und Geschwätz.
Wir reden über das Wetter. Wir reden über die Arbeit.
Außer – über den Elefanten im Raum.
Ein Elefant ist im Raum.
Wir alle wissen, dass er da ist.
Wir denken an den Elefanten, während wir miteinander reden.
Wir denken ständig an ihn.
Er ist nämlich ziemlich groß.
Er tut uns allen weh.
Aber wir sprechen nicht über den Elefanten im Raum.
Bitte, sagt seinen Namen.
Bitte, sagt noch einmal „S I M O N“.
Bitte, lasst uns über seinen Tod reden,
dann können wir vielleicht auch über sein Leben reden.
Kann ich den Namen „Simon“ in eurer Gegenwart sagen, ohne wegschauen zu müssen?
Denn wenn ich das nicht kann, dann lasst ihr mich
Allein ...
In einem Raum ...
mit einem Elefanten.
Noch immer bin ich auf der Suche nach einem lebbaren Leben und auch das wird wohl den Rest unseres Lebens so bleiben. Manchmal hat man gute Zeiten, Zeiten zum Durchatmen und Krafttanken. Dann liegt wieder ein schier unüberwindbarer Felsbrocken auf dem Weg und von denen gab es im Jahr 3 jede Menge.
So leicht wäre es einfach aufzugeben, weil man keine Kraft mehr hat, als sich immer wieder aufs neue aufzumachen, einen anderen Weg zu (ver)suchen.
Das Heute
stellt nicht die Frage,
gehst Du falsch
oder richtig?
Das Heute
stellt die Frage,
gehst Du?
Denn ...
Das Morgen kann nur blühen,
wenn es im Gestern wurzelt
und im HEUTE wächst.
Nichts ist schlimmer, als auf der Stelle zu verharren. Dort ändert sich nichts. Es ist auch egal, ob man auch mal in einer Sackgasse landet, den falschen Weg gewählt hat, so wie mir passiert ist. Wichtig allein ist, niemals aufzugeben und das allein habe ich durch Simon gelernt.
Habe ich wirklich mal ein Leben voller Leichtigkeit und Glück geführt? Es scheint, als wäre dieses schon Jahrzehnte her und doch sind es erst 3 Jahre. Ein Blitz ist durch die Zeit gefahren und hat sie durchtrennt. Die Zeit mit Simon und die Zeit ohne ihn.
Ich fühle mich so viel älter, als ich es bin.
Nach dem Tod von Simon blieb eine Ruine und aus dieser versuche ich etwas Neues zu bauen. Ich sammle Bausteine … es ist wichtig, Bausteine zu sammeln, sie zu drehen und zu wenden. Viele Bausteine werden benötigt und ebenso viele Zulieferer, doch die sind selten geworden.
Viele Menschen in meinem Umfeld wissen nicht, dass sie Zulieferer sein könnten. Auch kleine Bausteine sind wichtig für einen Neuaufbau. Manchmal müssen auch erneut Risse hingenommen werden, weil in unserem Umfeld davon ausgegangen wird, dass Tod und Trauer um unser totes Kind endgültig abgeschlossen zu sein hat.
Mein Schmerz ist sanfter geworden oder habe ich mich inzwischen so sehr an diesen Dauerschmerz gewöhnt, dass ich es gar nicht mehr anders kenne?
Auch heute gibt es Momente, an denen alles so unwirklich ist und ich mir klar machen muss, dass Du wirklich nie wieder kommst. Ich versuche immer wieder, mich gegen dunkle Hoffnungslosigkeit zu wehren.
Du hast so eine große Leere hinterlassen und ich leide an der Zerrissenheit meines Lebens, alle Tränen sind Tränen der Liebe, der Sehnsucht, aber auch der Hoffnung, in dem Glauben an die Unzerstörbarkeit des Lebens.
Im Kreise von betroffenen Eltern fällt es mir wieder leicht, ausgelassen, albern und fröhlich zu sein. Hier denkt niemand: „Schau, sie lacht ja wieder, dann geht es ihr ja endlich wieder gut“. Hier schaut auch niemand komisch, wenn im nächsten Moment die Tränen laufen. Jede Freude hat auch eine andere Seite, es wird nie wieder das gleiche Glück von früher sein.
Nichts ist mehr selbstverständlich, auch nicht, dass einige wunderbare Menschen mich auf meinem Weg begleiten.
Du bist immer noch ein Teil unserer Familie, bei allem dabei, wenn auch für uns nicht mehr sichtbar. Aber es bringt mich manchmal um den Verstand, Dich nicht mehr zu spüren. Ich vermisse Dein Lachen, Deine Zärtlichkeit, Deine strahlenden Augen und Deine ansteckende Lebenslust.
Die Liebe hat sich gewandelt,
sie ist nun unendlich zart
und doch stark,
still,
dennoch voller Lebendigkeit,
fern
aber in jedem Augenblick gegenwärtig
sie ist geheimnisvoll
und doch ganz klar
rein und frei von allen Dingen dieser Welt.
Nun ist sie daheim
In der Geborgenheit des Herzens,
im Schutze der Erinnerungen,
unantastbar,
unbesiegbar,
unverlierbar
(Petra Fuchs)
Du fehlst uns allen unendlich. Wie gerne würden wir ein Leben mit Dir an unserer Seite leben, unsere gemeinsamen Träume verwirklichen.
Ich bin jetzt gern allein. Ich brauche diese einsamen stillen Stunden, um Dir ganz nahe zu sein, um meine Gedanken zu ordnen, um meinen Tränen freien Lauf zu lassen und um zur Ruhe zu kommen. So schaffe ich es meistens, dass in mir langsam eine ganz tiefe Dankbarkeit wächst, dass ich 13 Jahre mit Dir haben durfte. Und ich verspreche Dir Simon, dass ich auch im Jahr 4 weiterkämpfe, nicht aufgebe!
Ich liebe Dich - ohne Anfang und ohne Ende.
Ich trage Dich in mir, bis wir uns wieder treffen.
In Liebe Deine Mama, denn du bist der Wind in meinen Flügeln
(c) 2008 Claudia Staemmler, in Anlehnung an Marion Mama von Jessica
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