Und jeder Tag, der vergeht, trennt mich ein Stück mehr von der wundervollen gemeinsamen Zeit mit dir und lässt die Sehnsucht zu dir bis in die Unendlichkeit wachsen. Es schmerzt so sehr, wie viel Zeit ich schon ohne dich hinter mich gebracht habe (504), und das jetzt ein neuer Frühling, erwachendes Leben ins Land kommt ... der Zweite ohne dich, mein Sonnenschein.
Ich lebe in der Vergangenheit und versuche die Gegenwart zu meistern, die Zukunft ist noch sehr wage ...
Es ist ein paradoxes Leben, in das mich dein Tod geworfen hat. Dieses Wissen darum, dass all die Jahre, die noch folgen, ohne dich sein werden, läßt mich den Blick nach vorn verschließen. Deshalb existiere ich im Hier und Jetzt. So zu leben ist das, was ich nun tue, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Die Zeit fliegt an mir vorbei, rücksichtslos und lässt mich verzweifelt zurück.Die Einsamkeit, obwohl das Leben um mich herum pulsiert und ich meistens gezwungen werde mit diesem Strom zu schwimmen, das ist eigentlich das aller Schlimmste.
Wie soll ich mit dieser Endgültigkeit umgehen, damit fertig werden, wenn das Wörtchen “nie” eine ganz neue Gewichtung bekommt? Wie ...
Dieses “NIE MEHR” ... unvorstellbar und doch Realität. Jeden Tag wird mir bewusst, dass ich lernen muß, mich mit dieser Endgültigkeit zu arrangieren und jeden Tag merke ich, dass ich oft, vielleicht zu oft an meine Grenzen stoße. Trotz aller Suche, aller Hilfe, aller Worte ... keine Erklärung für das Geschehene finden zu können, lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Ich drehe mich oft hilflos im Kreis, bis ich wieder eine Richtung finde.
Manchmal frage ich mich, kann man irgendwann wieder Freude, Leichtigkeit und Sorglosigkeit empfinden? Ja ... ich habe festgestellt das es ab und an, wenn ich Kraft habe alles andere auf Seite zu schieben, dann ist auch wieder etwas Freude möglich. Aber Leichtigkeit, Sorglosigkeit ... das nicht. !!!
Doch nach kurzen Pausen holt mich der Schmerz gleichviel schlimmer wieder ein und ich falle in eins der tiefen Löcher, denen man auf dem Weg den wir nun gehen begegnet ... unserem Jakobsweg.
Ich bin sehr dünnhäutig geworden und damit sehr verletzbar. Es bleibt einfach keine Kraft übrig für Diskussionen, für Rechtfertigungen, für vergebliche Versuche, mich anderen verständlich zu machen. Wenn ich es versuche, spüren ich, wie die
Kraft, die ich gerade mühsam wieder gesammelt habe, verloren geht. Meine Trauer kann ich nicht abarbeiten, bis sie weg ist, meine Trauer um das Verlorene, um Simon gehört nun zu meinem Leben.
Mit dieser Trauer zu leben ist wie mit einer Amputation zu leben: Denn, egal was man tut, egal ob man fröhlich ist oder traurig, man ist und bleibt amputiert. Es ist ein Zustand, der nicht rückgängig zu machen ist, es ist etwas abgetrennt, das nicht nachwachsen kann. Ich spüre noch immer diesen schrecklichen “Phantomschmerz”, nicht so wild wie am Anfang aber immer da, diese brennende Sehnsucht nach Simon, als einen Teil von mir selbst, weggerissen von meiner Seite, herausgerissen aus unserer Familie, fort von dieser Welt.
Nach außen hin wirke ich wohl auf viele Menschen wieder ganz normal und erwecke den Eindruck, mit deinem Tod klar zu kommen.
Sie können ja nicht wissen, um meine Trauer die sich in ständigem Auf und Ab befindet, nur ich weiß, dass das alles andauern wird bis zu meinem eigenen Tod.
Die Zeit heilt eben keine Wunden, sie läßt sie vernarben und das ist gut so.
Durch deinen Tod bin ich wie in kleine Stücke zerschmettert und seitdem dabei die wichtigsten Scherben aufzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Dabei entdecken ich Stücke, die ich nicht mehr brauche. Es gibt Stücke, die unwiederbringlich verloren sind und ich entdecke Stücke, die ich bisher gar nicht wahrgenommen habe. So werden ich als Mensch, der nach dem Zusammensetzen
dieser Scherben entsteht, noch mehr verändert sein. Mit Lücken und Löchern, mit Bruchkanten und Klebestellen, ein zartes Gerüst ... aber ...
mit der gleichen Seele. Ich brauche alle meine Kraft, um meinen Weg aus diesem Trümmerhaufen herauszufinden. Und diesen Weg gehe ich alleine und vielleicht möchte ich derzeit Hilfe gar nicht zulassen und um mich zu öffen ist der Schmerz einfach zu tief.
Mit der Zeit habe ich erkannt, dass meine Trauer in erster Linie ein einsamer Weg
ist und dass dieser Weg immer wieder durch mein aller tiefstes Inneres führt und ich dann die Wahl habe, dort in der qualvollen Tiefe zu verharren, selbst
schrittweise zu sterben oder an die Oberfläche zu steigen und mich dem Schicksal wieder ein Stückchen zu stellen.
Dies ist ein beschwerlicher Weg, mein Jakobsweg, zu sterben wäre leichter. Zu Leben aber heißt, sich diesem Schmerz diesem unersetzbaren Verlust zu stellen, sich zu verändern, zu spüren, dass man, wenn man aus diesem Prozess der Trauer hervorgeht, niemals mehr der Mensch wird sein können, der man früher war. Man hat dort unten sein altes Ich zurückgelassen, man ist gereift und hat sich gehäutet.
Seit deinem Tod, Simon habe ich ein neues und intensiveres Bewusstsein entwickelt, was das Leben nicht unbedingt leichter macht, aber mir hilft manches zu verstehen. Dinge, die früher wichtig waren, sind nun bedeutungslos, umgekehrt haben Dinge, die früher nicht so wichtig waren, große Bedeutung bekommen. Mit deinem Tod, mein Sonnenschein, hat eine neue Zeitrechnung begonnen.
Dieses “WARUM” steht immer noch unbeantwortet im Raum und dort wird es wohl immer stehen, solange wir leben. Schuldgefühle rauben mir oft den Verstand, alles ist so nah, als wäre es gestern gewesen.
Ich hoffe sehr, dass es mit den Jahren etwas leichter sein wird, DIESES Leben zu leben ... das ich SO nie gewollt habe und das ich nun annehmen muss.
Habt Vertrauen das ich dies schaffe.
Gebt mir die Zeit die ich brauche ...
(c) in Anlehnung an Worte von Marion A., Mutter von Jessica
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