Gedanken
Wenn ich deinen Blog so verfolge, dann überkommt mich das Gefühl unendlichen Mitleids. Du trauerst um dein Kind, wehrst dich mit Händen und Füßen gegen die Tatsache, die Wirklichkeit seines Todes - und kämpfst dabei doch auch um dein eigenes Überleben. Aber unendliches Mitleid brauchst du nicht, willst du wohl auch nicht, denn es hilft dir beim Überleben am wenigsten.
Wenn du heute - an Simons 1. Todestag - zu seinem Grab gehst, dann mach dir bewusst: Du gehst nicht zu einem Toten, sondern zu einem Lebenden! Du hast ihn nicht verloren, sondern neu gewonnen! Auch wenn du ihn nicht mehr körperlich in den Arm nehmen kannst, bist du ihm doch heute näher als du je warst!
Er ist bei dir, in dir - aber er geht nun seinen eigenen Weg. Den wäre er früher oder später sowieso gegangen - und du hättest lernen müssen, ihn loszulassen. Du hättest verstanden, dass er mehr Freiraum, mehr Freiheit und Eigenheit gebraucht hätte, um der zu werden, der er hätte werden können. Auch, dass du die Verantwortung für sein Leben und Wohlergehen auf ihn hättest übertragen müssen. Und du hättest verstanden, dass es ihm dabei nicht darum gegangen wäre, dich loszuwerden, sondern dich neu zu finden - nicht mehr zuerst als Mutter, sondern als Freundin, Beraterin, Hilfe, Rückhalt. Dass er dir nun abrupt entrissen wurde und eure Trennung sich von einem auf den anderen Moment vollzogen hat anstatt in einem lang anhaltenden Prozess, wie es normalerweise der Fall ist, befreit dich allerdings nicht davon, dieses Loslassen auch in dieser Situation zu lernen. Deshalb mach dich auf und lass ihn los! Übergib ihm die Freiheit und die Eigenverantwortung, die ihm auch in seinem späteren Leben zugestanden hätte, und gib auch dir selbst die Freiheit, die du erhalten hättest, wenn er ganz auf eigenen Füßen gestanden hätte! Und wenn es dir hilft: übergib die Verantwortung für sein Leben und sein Schicksal an den Gott, der ihm sein Leben geschenkt und seinen Tod in neues Leben gewandelt hat!
Es reicht, dass Simon nicht mehr unter uns ist (und doch lebt er!) - du musst dich deswegen der Welt und dem Leben nicht auch noch entziehen! Da sind Menschen, die dich brauchen und auf dich warten, die dich lieben und womöglich zweifeln, ob du momentan ihre Liebe siehst und annehmen kannst. Wende dich wieder den Menschen in dieser Welt zu und lass dich und dein Leben nicht blockieren von ihm, der so nicht mehr in dieser Welt ist (und der dich doch näher ist als je zuvor)! Ich bin sicher, dass Simon dies so will!
So verständlich und nachvollziehbar deine Trauer um ihn ist, so beängstigend und beunruhigend ist sie auch im Hinblick auf dich. Du kannst dem Unabänderlichen nicht die Stirn bieten - du musst dich damit versöhnen, um weiterleben zu können. Lerne Ja zu sagen zu dem, was Simon und dir widerfahren ist - nicht aus Fatalismus oder Resignation, sondern aus dem Willen heraus, mit ihm und für ihn weiterzuleben! Lass ihn da, wo er jetzt ist - und versuch nicht immer wieder, ihn zurückzuholen und deinem Leben unterzuordnen (so mutet deine Form der Trauer jedenfalls bisweilen an)! Liebe ihn weiterhin, denn deine Liebe zu ihm ist dir vom Moment seiner Zeugung eingepflanzt und stärker als der Tod! Du musst also keine Angst haben, dass sie dir irgendwann verloren gehen könnte.
In herzlicher Verbundenheit, ...
(c) C.Schiffgen
3 Kommentare:
Mein Kommentar zu diesem Beitrag ist leider unter dem Beitrag Tränen gelandet.
Gruß Bigi
Hallo!
Gestern schon habe ich diesen Eintrag gelesen und musste erstmal ein wenig Zeit verstreichen lassen um das Geschriebene zu verarbeiten.
Hallo! Was soll ich dazu sagen? Sicherlich wäre es besser ich würde keinen Kommentar dazu schreiben, aber hallo...
Ich meine, ich drücke mich auch schon mal falsch aus, da bin ich mir sicher. Erst gestern bei meinem letzten Kommentar wurde mir erst später bewusst, dass ich es hätte deutlicher schreiben müssen. Dass ich keine Angst vor dem Tod habe meine ich, ich meine meinen eigenen Tod und nur meinen eigenen Tod. Meine Schweineangst bleibt einen Menschen zu verlieren den ich liebe.
Aber jetzt BITTESCHÖN zu dem Brief eines Freundes - eigentlich macht er mich schon fast sprachlos. Gestern hätte ich den sogenannten Freund am liebsten ....
Es war wie ein Schlag ins Herz. Warum liebe Claudia äußerst Du dich nicht dazu? Wie empfindest DU diesen Brief?
Du weist:"ICH BIN STOLZ AUF DICH!" Ich glaube nicht was ich da gelesen habe. Ich habe nur Angst um Dich. Angst, dass DU für uns nach außen stark bist und innerlich in dich zusammenfällst. Nimm unsere Hand - jeder trägt seinen Schmerz allein - und doch - Ist es nicht schön zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die mit uns fühlen, mit uns weinen und uns einfach in den Arm nehmen? Der Schmerz wird dadurch nicht keiner, doch vielleicht hilft es den Schmerz besser auszuhalten.
Ich schreiben sicherlich auch ab und an ein paar Zeilen, die andere anders deuten als ich sie gemeint habe, aber wie kann man ...
Doch ich glaube irgendwie fehlen mir die Worte für das Geschriebene.
Wenn jemand einen solchen Brief schreibt, dann sieht er einen Menschen aus einer bestimmten Perspektive. Andere sehen ihn aus einer anderen. Ich verstehe ihn nicht so, als ob damit ein Verbot zu trauern, ein Aufruf zum Vergessen von Simon oder ähnliches ausgesprochen wäre - ich verstehe ihn vornehmlich als Ausdruck der Sorge um Claudia. Jeder, der einen geliebten Menschen durch den Tod verliert, soll um ihn trauern, solange er es braucht, und niemandem kann man anordnen, damit aufzuhören. Doch es gibt im Erleben von Trauernden auch das andere: solche, die nur noch die Trauer in ihrem Leben sehen und deren Leben zu einem einzigen Warten auf die Wiedervereinigung mit dem Verstorbenen wird; die ihr eigenes Leben darüber "vergessen" oder gar verweigern. Diese Gefahr scheint mir in dem Brief angesprochen zu sein.
Vielleicht hätte man es vorsichtiger und mit einem weniger direktiven Impetus formulieren können/müssen. Denn vor Simons Schicksal können wir letztlich nur schweigen - es ist unerklärbar und unbegreiflich und deshalb nicht in Worte zu fassen, ebenso wie auch die Trauer darüber. Auf der Seite der Trauernden zu stehen bedeutet jedoch nicht nur, mit ihnen zu fühlen und zu trauern (so wichtig dies ist), sondern auch, ihnen zu helfen, ihre Trauer zu bewältigen und damit leben zu lernen. Das meint aber weder Verdrängen noch Vergessen - es meint, Tod und Trauer anzunehmen als Teil des weiteren Lebens.
Claudia ist da auf einem guten Weg, worüber ich mich freue. Ich wünsche ihr auch weiterhin viel Kraft und Unterstützung durch Menschen, die sie verstehen und sie begleiten!
Liebe Grüße, Orpheus
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