Mittwoch, 25. Oktober 2006

Ein Jahr und doch erst gestern ....

Nun ist fast ein Jahr ist Land gegangen und jeder Tag, der vergeht trennt uns ein Stück mehr von der gemeinsamen Zeit mit Simon und läßt die Sehnsucht nach ihm wachsen. Einerseits schmerzt es sehr, wie viel wir schon ohne Ihn hinter uns gebracht haben, andererseit ist sie gelebt und hat uns ein Stück näher zu Ihm kommen lassen.
Wir leben in der Vergangenheit und versuchen unsere Gegenwart und unsere Zukunft zu meistern. Es ist ein paradoxes Leben, in das uns sein Tod geworfen hat. Dieses Wissen darum, dass all die Jahre, die folgen, ohne Ihn sein werden, lassen uns den Blick nach vorn verschließen. Wir existieren im Hier und Jetzt. So zu leben ist das, was wir nun tun, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Die Zeit fliegt an uns vorbei, rücksichtslos und lässt uns verzweifelt zurück.
Die Einsamkeit, obwohl das Leben um uns herum pulsiert und wir meistens gezwungen sind mit diesem Strom zu schwimmen, das ist eigentlich das Schlimmste. Wie sollen wir mit dieser Endgültigkeit umgehen, damit fertig werden, wenn das Wörtchen “nie” eine ganz neue Gewichtung bekommt.
Dieses “nie mehr” …… unvorstellbar und doch Realität. Jeden Tag wird uns bewusst, dass wir lernen müssen, mit dieser Endgültigkeit zu leben und jeden Tag merken wir, dass wir an unsere Grenzen stoßen.

Trotz aller Suche, keine Erklärung für das Geschehene finden zu können, lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Oft fragen wir uns, kann man irgendwann wieder Freude, Leichtigkeit und Sorglosigkeit empfinden? Vielleicht möchten wir dies derzeit gar nicht zulassen.
Zu tief ist der Schmerz.
Wir sind sehr dünnhäutig geworden und damit sehr verletzbar. Es bleibt keine Kraft übrig für Diskussionen, für Rechtfertigungen,für vergebliche Versuche, uns anderen verständlich zu machen. Wenn wir es versuchen, spüren wir, wie die Kraft, die wir gerade mühsam wieder gesammelt habe, verloren geht. Unsere Trauer können wir nicht abarbeiten, bis sie weg ist, unsere Trauer gehört nun zu unserem Leben. Mit der Trauer zu leben ist mit Amputation zu leben: egal was man tut, egal ob man fröhlich ist oder traurig, man ist und bleibt amputiert. Es ist ein Zustand, der nicht rückgängig zu machen ist, es ist etwas abgetrennt, das nicht nachwachsen kann.
Wir haben noch immer diese schrecklichen “Phantomschmerzen” diese brennende Sehnsucht nach Simon, als einen Teil von uns selbst, weggerissen von unserer Seite, herausgerissen aus unserer Welt.
Nach außen hin wirken wir wohl auf viele Menschen wieder ganz normal und erwecken den Eindruck, mit seinem Tod klar zu kommen.Ihr könnt ja nicht wissen, um unsere Trauer in ständigem Auf und Ab, nur wir wissen, dass das alles dauern wird bis zu unserem eigenen Tod.
Durch seinen Tod sind wir in kleine Stücke zerschmettert worden und seitdem sind wir dabei, die wichtigsten Scherben aufzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Dabei entdecken wir Stücke, die wir nicht mehr brauchen. Es gibt Stücke, die unwiederbringlich verloren sind und wir entdecken Stücke, die wir bisher gar nicht wahrgenommen haben. So werden wir als Mensch, der nach dem Zusammensetzen dieser Scherben entsteht, noch mehr verändert sein. Mit Lücken und Löchern, mit Bruchkanten und Klebestellen… aber.... mit der gleichen Seele.
Wir brauchen alle unsere Kraft, um unseren Weg aus diesem Trümmerhaufen herauszufinden. Mit der Zeit haben wir erkannt, dass unsere Trauer in erster Linie ein einsamer Weg sein würde und dass dieser Weg immer wieder durch unser tiefstes Inneres führt und wir die Wahl haben, dort in der qualvollen Tiefe zu verharren, selbst schrittweise zu sterben oder an die Oberfläche zu steigen und uns dem Schicksal zu stellen. Dies ist der beschwerlichere Weg, zu sterben wäre leichter. Zu Leben heißt, sich dem Schmerz über diesen unersetzbaren Verlust zu stellen, sich zu verändern, zu spüren, dass man, wenn man aus diesem Prozess der Trauer hervorgeht,
niemals mehr der Mensch wird sein können, der man früher war. Man hat dort unten sein altes Ich zurückgelassen, man ist gereift und hat sich gehäutet.
Seit seinem Tod haben wir ein neues und intensiveres Bewusstsein entwickelt, was das Leben nicht unbedingt leichter macht, aber uns hilft zu verstehen.
Dinge, die früher wichtig waren, sind bedeutungslos, umgekehrt haben Dinge, die früher nicht so wichtig waren, große Bedeutung bekommen.
Mit Simons Tod hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Dieses “WARUM” steht immer noch unbeantwortet im Raum und dort wird es wohl immer stehen,
solange wir leben. Schuldgefühle rauben uns oft den Verstand, alles ist so nah, als wäre es gestern gewesen.

(c) Marion A. Mutter von Jessica http://jessica.anders-dmpj.de/

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